Sorry Klimaschutz, Wirtschaft geht halt vor! Über die Klima- und Freihandelspolitik der EU

Bis 2030 will die Europäische Union ihre Klimaziele, die im Pariser Abkommen von 2015  festgeschrieben wurden, erreichen. Doch anstatt die europäische Wirtschaft im Sinne einer nachhaltigen und klimafreundlichen Entwicklung zu fördern und zu subventionieren, setzt die EU sich lieber für Freihandelsabkommen ein, die das genaue Gegenteil bewirken.

CETA und TTIP sind bereits lange im Gespräch und wurden von vielen EU-Bürger*innen scharf kritisiert. Aber anstatt sich die Bedenken von Bürger*innen und Vertreter*innen nationaler Parlamente zu Herzen zu nehmen, debattiert die EU nun über ein neues Freihandelsabkommen mit dem südamerikanischen Wirtschaftsraum, MERCOSUR.

Hinter MERCOSUR stehen die Staaten Brasilien, Argentinien, Paraguay und Uruguay. Mit dem neuen Abkommen sollen die internationalen wirtschaftlichen Verbindungen gestärkt werden. Das heißt, dass fast 90% der eigentlich anfallenden Zölle abgeschafft und die Im- bzw. Exportquoten deutlich erhöht werden sollen. Solch eine Verbesserung der wirtschaftlichen Beziehungen mag nun auf den ersten Blick nach einer positiven Entwicklung für alle Beteiligten klingen. Spätestens auf den zweiten Blick sollten aber jedem die sich häufenden kleinen und weniger kleinen Haken offenbaren.

Sowohl für die Mitglieder der Europäischen Union, als auch für die Mitglieder des „Mercado Cómun do Sul“ birgt das Freihandelsabkommen immense Gefahren für Wirtschaft, Klima und Umwelt. Um diese zu erkennen, muss man sich nur die größten Exportgüter der südamerikanischen Staaten vor Augen führen. Ganz oben mit dabei sind hier Agrarprodukte, vor allem Rindfleisch, Soja und Weizen. Wer in seinem bisherigen Leben mit offenen Augen durch die Welt gewandert ist wird nun feststellen: All diese Produkte sind auch aus europäischer, die meisten sogar regionaler Landwirtschaft erhältlich.

Der ein oder andere mag nun argumentieren, dass Sojaimport ja aber vor allem aufgrund der steigenden Zahl an Personen, die sich vegetarisch/vegan ernähren nötig sei. Doch das ist keinesfalls der Grund, warum Soja aus Südamerika nach Europa importiert wird. Denn nicht wir bekommen dieses Soja in Form von Tofu-Schnitzeln oder einer Milchalternative vorgesetzt, sondern die Rinder, Schweine und Hühner, die damit gemästet werden, bis sie irgendwann in der Fleischtheke des lokalen Supermarktes oder Discounters landen. Mit einer steigenden Importquote für Soja wird also die Tierhaltung innerhalb der Europäischen Union intensiviert, da durch die höhere Verfügbarkeit von Futtermitteln eine größere Anzahl an Tieren gleichzeitig gehalten werden kann. Das wiederum würde zu einem steigenden Methanausstoß und einem größeren Bedarf an Fläche für die Landwirtschaft führen.

Auch das importierte Fleisch wirkt sich auf den europäischen Markt aus. Die Waren aus Südamerika sind in der Regel günstiger als solche, die in der EU produziert werden. Dadurch könnten viele Konsument*innen dazu animiert werden, die MERCOSUR-Produkte zu kaufen. Dass damit eine Absatzminderung für die europäischen Landwirte hervorgehen würde, ist offensichtlich. Europäische Landwirte befürchten zu Recht, dem Wettbewerb mit den südamerikanischen Produzenten nicht gewachsen zu sein. Die Produktionsmaßstäbe der MERCOSUR-Staaten sind oft größer als die europäischen, zudem gibt es dort weniger Regulierungen in Bezug auf Pflanzenschutzmittel und Gentechnik. Dadurch erhöht sich der Ertrag der südamerikanischen Landwirte, aber unter massiver Beschädigung der Umwelt.

Von europäischer Seite aus sollen vor allem Autos nach Südamerika transportiert werden. Das hätte zur Folge, dass die Absatzzahlen der Autoindustrie wieder deutlich ansteigen würden. Inwiefern das mit der Reduzierung des Autoverkehrs- bzw. der Autoproduktion, die für die Einhaltung der Klimaziele von großer Relevanz ist, vereinbar ist, ist fraglich. Natürlich ist in der Abkommensvorlage ein Nachhaltigkeitskapitel vorhanden. Doch das ist eher der berüchtigte zahnlose Tiger als ein wirksamer Wächter über die Einhaltung der Nachhaltigkeitskriterien, denn bei einem Verstoß gegen Letztere sieht das Kapitel keinerlei Möglichkeiten für Sanktionen vor.

Für die Umwelt wäre dieses Szenario eine Katastrophe. Zwischen dem europäischen und dem südamerikanischen Festland liegen 10.000 Kilometer. Diese gilt es zu überbrücken – mit Schiffen oder Flugzeugen. Also den Topkandidaten, wenn es um den CO2 -Ausstoß geht. Bei einer Einigung über den MERCOSUR-Vertrag würde durch den verstärkten Warnverkehr also auch die CO2-Emmission deutlich ansteigen. Gut, dass die Europäische Union im Pariser Klimaabkommen angekündigt hat, den CO2-Ausstoß in Europa verringern zu wollen. Dafür ist ein steigender Warenaustausch zwischen zwei Kontinenten sicher der richtige Weg.

Jetzt aber mal im Ernst, nicht nur für die CO2-Bilanz der EU wäre das Freihandelsabkommen mit Südamerika katastrophal – auch die Natur in den MERCOSUR –Staaten würde noch stärker in Mitleidenschaft gezogen, als sie es ohnehin schon ist. Anfang des Jahres war die ganze Welt bestürzt über die massiven Brände im Amazonasgebiet, einem der größten CO2-Kompensatoren unserer Erde. Damals schien es so, als wäre endlich klar geworden, wie wichtig die Regenwälder für uns und den Kampf gegen die Klimakrise sind. Das scheint nun vergessen, zumindest in Brüssel. Wenn durch das Freihandelsabkommen die Nachfrage nach südamerikanischen Agrarprodukten steigt, wird auch die Produktion dort steigen. Doch wohin mit all den Rindern und Sojafeldern? Richtig, dorthin, wo jetzt ungünstigerweise ein Regenwald im Weg steht. Aber das ist natürlich kein Problem, den kann man schließlich abholzen.

Ein Wachstum der Landwirtschaft in Südamerika führt zwangsläufig dazu, dass Teile des Regenwaldes abgeholzt werden, gerade in den Ländern, in denen der Amazonas einen Großteil der Landfläche einnimmt. Der brasilianische Präsident Jair Bolsonaro ist bekannt dafür, sich für das wirtschaftliche Wachstum in seinem Land stark zu machen, auf Kosten des Amazonas und somit auch des Klimas. Seit seinem Amtsantritt im Jahr 2019 ist die Zahl an Rodungen und Angriffen auf Menschen, die versuchen ihre Lebensgrundlage zu schützen, immens angestiegen. Durch einen Freihandelsvertrag unterstützt die Europäische Union dieses Verhalten durch Toleranz und Förderung der Wirtschaft. Wie das mit dem Ziel, den Klimawandel nachhaltig zu bekämpfen, vereinbar ist, ist anscheinend nur als EU-Politiker*in zu erkennen. Schade, dass der Großteil unserer Gesellschaft nicht zu dieser Gruppe an Menschen gehört.

Wenn die Europäische Union nun das Abkommen mit den MERCOSUR-Staaten abschließt, wird erneut eine Entscheidung für das Wachstum der Wirtschaft und zugunsten der großen Konzerne und gegen die selbst gesetzten Klimaziele getroffen.